Der Kriminalfall »Ötzi«
Die Pfeilspitze, die mit größter Wahrscheinlichkeit zum Tode des Eismannes geführt hat, wurde im Süden hergestellt. Ein aktueller Materialvergleich zeigt allerdings, das solche Pfeilspitzen vereinzelt auch im nördlichen Alpengebiet auftauchen.
Bei der tödliche Pfeilspitze, deren Entnahme der Südtiroler Landeshauptmann untersagt, gibt es sehr genaue Röntgen und Computertomographie-Aufnahmen.Es handelt es sich um eine 2,8 Zentimeter große, flächenretuschierte Spitze, die an der Basis einen Schäftungsdorn aufweist. Diese Art von Pfeilspitzen ist in der kupferzeitlichen Remedello-Kultur in Oberitalien verbreitet. Das Rohmaterial ist mit größter Wahrscheinlichkeit der bekannte Feuerstein der Monti Lessini in der Prov. Verona, aus dem auch die sechs Feuersteingeräte des Eismannes gefertigt wurden.
Die von Alexander Binsteiner kürzlich abgeschlossene Materialaufnahme mehrerer tausend Pfeilspitzen aus kupferzeitlichen Fundstätten und Siedlungen (3400-3300 v. Chr.) im nördlichen Alpenraum zeigt recht deutlich, dass sämtliche Spitzen eine gerade bzw. konkav eingezogene Basis haben, ohne »Schäftungsdorn«. Bis auf momentan zwei Ausnahmen: eine gestielte Pfeilspitze in der Pfahlbausiedlung von Seewalchen am Attersee, die eindeutig der oberitalischen Remedello-Kultur entstammt und eine gestielte Spitze aus der Höhensiedlung am Auhögl bei Ainring im Berchtesgadener Land, die in die zeitgleiche Altheimer- und Mondsee-Kultur datiert. Beide Pfeilspitzen sind aus dem oben genannten Lessinischem Feuerstein hergestellt und somit eindeutig Importe aus dem Süden.
Offenbar waren in den Siedlungen des nördlichen Alpenvorlandes vereinzelt also auch aus dem Süden importierte Pfeilspitzen im Gebrauch. Wenn der »Täter« einen dieser Pfeile verwendet hat, kann er also auch aus dem Norden stammen. Das erweitert jetzt neuerdings den Täterkreis im Fall Ötzi.
Was genau nun am Alpenpass geschehen ist, wird man auch in Zukunft nur mutmaßen können. Doch Alexander Binsteiner und weitere Fachkollegen favorisieren mittlerweile die Theorie, dass der »Eismann« Teilnehmer eines Handelszuges war. Ein deutliches Indiz hierfür ist das Kupfer-Beil, dessen Form der südalpinen Remedello-Kultur entspringt, dessen Kupfer (sog. Mondsee-Kupfer) allerdings aus nordalpinen Lagerstätten stammt. Der bei einem Raubüberfall auf den Handelszug getötete »Eismann«, wäre dann von seinen Kameraden unter freiem Himmel regulär mit Beigaben bestattet worden. Eine plausible Erklärung, warum gerade das sehr wertvolle Kupferbeil als Zeichen der Wertschätzung bei der Leiche zurückgelassen wurde.
Quelle: Archäologie Online