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Forscher rekonstruieren Gesicht von Moorleiche

in News-Ticker 22.01.2011 14:37
von gaggii • Administratorin | 162 Beiträge

Ein Artikel von Spiegel Online Wissenschaft

Von Thomas Brock

Sie streifte vor mehr als 2600 Jahren durchs heutige Niedersachsen und starb unter mysteriösen Umständen. Jetzt haben Wissenschaftler das Leben der Moorleiche "Moora" in Teilen erforscht - und das Gesicht des Mädchens nachgebildet.

Es war ein kurzes Leben voller Entbehrung und Leid. Das Teenager-Mädchen hatte einen gutartigen Tumor an der Schädelbasis, eine Verkrümmung der Wirbelsäule und, als sei das noch nicht genug, eine chronische Entzündung der Schenkelknochen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam aus Paläoökologen, Rechtsmedizinern, Anthropologen und Archäologen, das die vor sechs Jahren identifizierte Moorleiche "Moora" untersucht hat.

Am Donnerstag haben die Experten neue Erkenntnisse in Hannover vorgestellt. "Moora" lebte vor rund 2650 Jahren, also in einer Ära, die sich Historikern und Archäologen nur schemenhaft erschließt. Damals, in der vorrömischen Eisenzeit, fertigte schließlich niemand Aufzeichnungen über den europäischen Norden an. Und nur gelegentlich geben archäologische Funde Aufschluss über das Leben der Menschen jener Zeit.

Jetzt lässt sich mit Hilfe von "Moora" ein erstaunlich detailliertes Bild zeichnen. Es mag nicht repräsentativ sein, aber sehr wohl eindrücklich: Das Mädchen starb mit 17 bis 19 Jahren und war Linkshänderin. Selbst die Fingerabdrücke waren vortrefflich erhalten. Wachstumslinien an den Knochen bezeugen, dass "Moora" in Kindheit und Jugend unter Mangelernährung litt. Vielleicht erkrankte sie auch häufig während der langen, harten und entbehrungsreichen Wintermonate. Die Knochen zeugen außerdem von zwei Schädeldachfrakturen. Sie kamen während der Lebenszeit des Mädchens durch stumpfe Gewalteinwirkung zustande.

Mit Wasserkrügen auf Stegen durchs Moor

Wahrscheinlich trug sie auch regelmäßig Lasten wie etwa Wasserkrüge auf dem Kopf und verrichtete körperlich schwere Arbeit. Dabei balancierte "Moora" auf einem Steg durch das Moor. Zahlreiche Bohlenwege haben Archäologen in den einst morastigen Weiten Nordwestdeutschlands inzwischen ausgegraben. Kilometerweit führten sie durch die nassen und unwirtlichen Areale. "Su 3" heißt die wissenschaftliche Bezeichnung eines solchen 1,80 Meter breiten Weges, auf dem "Moora" vielleicht einst wandelte.

Die Gegend war einerseits für die Nahrungssuche wichtig, hatte aber auch sakrale Bedeutung, glauben Archäologen. Interessanterweise war das Moor, in dem die Leiche gefunden wurde, vergleichsweise klein. Landzungen ragten in die Sumpflandschaft, Kuppen erhoben sich wie Inseln aus dem Morast. Die Gegend war durchaus besiedelt - und keineswegs eine komplette Einöde. Das haben Wissenschaftler um Andreas Bauerochse vom niedersächsischen Denkmalamt bei Pollenanalysen herausgefunden.

Um dem Mädchen aus dem Moor noch näher zu kommen, haben die Wissenschaftler auch Gesichtsrekonstruktionen erstellen lassen. "Es ist der Blick in das Gesicht einer jungen Frau, zu deren Zeiten Rom noch ein unbedeutendes Dorf war", sagt der Chef des Denkmalamts, Stefan Winghart. Zunächst hatten Experten um Dennis Säring vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) die gefundenen Knochen in einem Computermodell zusammengesetzt. Daraus wurde dann ein Nachbau des knöchernen Schädels gefertigt.

Anschließend zeichneten insgesamt fünf Forscher, darunter eine Mitarbeiterin des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt und Experten der Universitäten Freiburg und Dundee (Großbritannien), ein Bild vom Antlitz des Eisenzeit-Mädchens. Entstanden ist ein faszinierender Blick in die Vergangenheit ( siehe Fotostrecke).

Fund zunächst falsch eingeordnet

Dass die Forscher "Moora" überhaupt untersuchen konnten, grenzt an ein Wunder: Ein Torfbagger hatte sie im September 2000 beinahe zerstört. Wirbel, Schädelteile und Haare fanden sich - und ein Rätselraten begann, das erst Jahre später sein Ende finden sollte. An eine Moorleiche aus der Eisenzeit dachte damals noch niemand.

In der Rechtsmedizin des Hamburger Universitätskrankenhauses identifizierte man die Leiche zunächst als 16- bis 21-jährige Frau, die offenbar niemals in ihrem Leben beim Zahnarzt war. Zunächst hegte man den Verdacht, der Leichnam gehöre zu der 1969 nach einem Discobesuch verschwundenen 16-jährigen Elke Kerll. Eine DNA-Probe konnte diesen Verdacht jedoch ausschließen.

Anschließend ging der Fall zu den Akten. Erst fünf Jahre später, am 5. Januar 2005, als an der alten Fundstelle eine menschliche rechte Hand an die Oberfläche kam, geriet die Leiche aus dem Moor in den Blick der Archäologie. Diesmal informierten Kriminalisten das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege in Hannover. Landesarchäologe Hennig Haßmann und Paläoökologe Andreas Bauerochse nahmen die Hand in Augenschein: Sie war mumifiziert und hatte ihrer Lage nach mindestens zwei Jahrtausende im Moor gelegen.

Eine Radiokarbon-Datierung an der Universität Kiel bestätigte das hohe Alter. Demnach starb das Mädchen zwischen 764 und 515 vor Christus. Im Juni 2005 präsentierten Archäologen, Anthropologen und Rechtsmediziner dann die Sensation erstmals der Presse. Der NDR animierte sein Publikum, dem Fund einen Namen zu geben. So bekam das "Mädchen aus dem Uchter Moor" eine populäre Bezeichnung: "Moora".

Doch die Frage, wie und warum "Moora" in ihr Grab gelangte, bleibt offen. Vielleicht lag die junge Frau längere Zeit in einer Vertiefung des Moors. Auffällig ist, dass sie offenbar nackt war. Kleidungs- und Trachtbestandteile fehlen. Wäre sie verunglückt, so die Archäologen, dann wären mit einiger Wahrscheinlichkeit wohl Reste lederner Kleidung oder Schmuck erhalten geblieben. Außerdem sind aus dieser Zeit bisher nur Feuerbestattungen bekannt.

Die Moorleiche von Uchte hat also noch nicht alle Rätsel preisgegeben.

Mitarbeit: Christoph Seidler, mit Material von dpa

Originalartikel mit der entsprechenden Fotosstrecke findet sich unter: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensc...,740627,00.html


Nichts ist haltbarer als ein gut gegrabenes Loch!

zuletzt bearbeitet 22.01.2011 14:39 | nach oben springen


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